Die Konsolidierungswelle in der deutschen Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsbranche ist in vollem Gange. Immer mehr Professional-Services-Kanzleien schließen sich zusammen oder werden übernommen. Vor allem internationale Finanzinvestoren haben den fragmentierten deutschen Markt ins Visier genommen. Ein aktuelles Beispiel: Der britische Private-Equity-Fonds Cinven steigt bei Grant Thornton Deutschland – einer der Top-10-Wirtschaftsprüfungsgesellschaften mit 249 Millionen € Umsatz - als Mehrheitseigner ein. Das Wirtschaftsprüfungsgeschäft gilt als krisenresistent mit stabilen Cashflows, und die hohe Zahl an Wettbewerbern schafft enormes Konsolidierungspotenzial – eine Kombination, der Finanzinvestoren kaum widerstehen können.
Private-Equity-Investoren treiben die Konsolidierung voran
Grant Thornton Deutschland zählt zu den zehn größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften am Markt. Der Einstieg von Cinven – einem internationalen Finanzinvestor – ist ein prominentes Beispiel der aktuellen Konsolidierungswelle.
Finanzinvestoren wie KKR, Silver Lake oder Partners Group drängen derzeit massiv in den bisher kleinteiligen und stark regulierten Markt für Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung in Deutschland. Obwohl früher ein Fremdbesitzverbot ausländische Beteiligungen faktisch ausschloss, finden Investoren mittlerweile legale Strukturen, um sich dennoch zu engagieren. So hat etwa KKR über eine Holding-Konstruktion die Nachfolge beim deutschen Marktführer ETL finanziert, ohne formal gegen Beteiligungsregeln zu verstoßen. Solche neuen Wege ebnen den Eintritt von Kapitalgebern in einen Markt, der lange als unbeweglich galt.
Das Ergebnis: Große Private-Equity-Firmen rollen mit Buy-and-Build-Strategien den Markt auf. Der Schweizer Investor Partners Group etwa hat unter der Dachmarke Afileon bereits 20 größere Steuerkanzleien in Deutschland gebündelt und peilt bis 2027 einen Umsatz von 500 Mio. € an. Gemeinsam bilden solche Gruppen schlagkräftige Einheiten, die Skaleneffekte nutzen: Üblicherweise erwerben Investoren Kanzleien im einstelligen bis zweistelligen Millionenumsatz-Bereich und fassen sie unter einem Holding-Dach zusammen. Zentrale Funktionen – z.B. Recruiting, IT-Infrastruktur, Compliance oder Markenauftritt – werden vereinheitlicht, um Effizienzen zu heben. Einheitliche Prozesse und Software senken die Kosten und steigern so den Wert der Gruppe. Hinzu kommt das Potenzial neuer Technologien wie generative KI, das sich durch umfangreiche Investitionen ausschöpfen lässt. All diese Faktoren treiben die Konsolidierung mit Hochdruck voran.
Chancen für mittelständische Kanzleien
Für mittelständische Steuerberatungen und Wirtschaftsprüfer eröffnet diese Entwicklung erhebliche Chancen. Zum einen ermöglicht der Konsolidierungsmarkt attraktiven Kanzleien hervorragende Bewertungen und damit lukrative Exit-Möglichkeiten für abgebende Inhaber. Zum anderen kann ein strategischer Partner die Finanzierung von Digitalisierung, KI und Wachstum erleichtern. Im Fall Grant Thornton etwa erhält das Unternehmen durch Cinven-Zusammenschluss frisches Wachstumskapital und Zugang zu Technologie-Know-how, um etwa Digitalisierung und künstliche Intelligenz schneller einzuführen. Viele Private-Equity-Investoren betonen, dass sie ihren Beteiligungen helfen, in neue Geschäftsfelder zu expandieren und Top-Personal zu gewinnen.
Ein weiterer Aspekt ist die Lösung von Nachfolgeproblemen. Angesichts eines durchschnittlichen Alters von über 53 Jahren unter Steuerberatern stehen in zahlreichen Kanzleien Generationswechsel an. Externe Investoren können hier eine geordnete Nachfolgeregelung ermöglichen – wie das Beispiel ETL/KKR zeigt, wo der Ausstieg des Gründers durch die Finanzierung einer Management-Übernahme aufgefangen wurde. Für Kanzleien ohne interne Nachfolger bietet der Verkauf an eine größere Gruppe die Gewissheit, dass das Lebenswerk fortgeführt wird und Mandanten weiterhin gut betreut werden.
Darüber hinaus profitieren mittelständische Einheiten in einem größeren Verbund von Skalen- und Verbundvorteilen. Zentral organisierte Bereiche (Personal, IT etc.) entlasten die Partner von administrativen Aufgaben. Zugleich erhöht sich die Attraktivität als Arbeitgeber: Größere Einheiten mit moderner Aufstellung können Talente besser gewinnen und binden. Tatsächlich sehen Branchenbeobachter einen Vorteil von Private-Equity-Einstiegen gerade in Digitalisierungsschub und höherer Anziehungskraft für Nachwuchskräfte.
Natürlich wird die Entwicklung nicht nur positiv gesehen. Traditionell wird in der Branche viel Wert auf Unabhängigkeit gelegt – Kritiker fürchten, dass externe Investoren zu sehr auf Profit getrimmt sind und kleinere Mandanten vernachlässigt werden könnten. Diese Bedenken sind ernst zu nehmen, doch angesichts des starken Wettbewerbs- und Innovationsdrucks erscheint die Marktkonsolidierung unausweichlich. Die Mehrheit der Brancheninsider rechnet denn auch mit einer Konsolidierung, getrieben durch steigende Anforderungen und Personalmangel. Neben klassischen Einzelpraxen werden vor allem größere Kanzlei-Gruppen und investorengetriebene Unternehmensverbünde künftig den Markt prägen. In diesem Umfeld sollten mittelständische Kanzleien die Chancen stärker in den Blick nehmen als die Risiken.
Fünf Kern-KPIs: Was macht ein Kanzlei-Target attraktiv?
Investoren prüfen bei potenziellen Übernahmekandidaten genau, wie zukunftsfähig und effizient diese aufgestellt sind. Fünf zentrale Performance-Kriterien (KPIs) haben sich dabei herauskristallisiert:
Digitalisierungsgrad: Ein hoher Automatisierungs- und Digitalisierungsgrad der Kanzleiabläufe (z.B. digitale Buchführung, cloudbasierte Workflows) signalisiert Effizienz und Skalierbarkeit. Beratungen, die früh auf digitale Innovationen gesetzt haben, verschaffen sich bereits heute nachhaltige Wettbewerbsvorteile. Ein digital fortgeschrittenes Unternehmen lässt sich leichter in eine größere Plattform integrieren und ermöglicht schnelle Kostensynergien.
Einsatz von KI und Automatisierung (Margenprofil): Der Gebrauch von künstlicher Intelligenz und Software-Robotics für repetitive Prozesse (etwa Buchhaltung, Belegverarbeitung) verbessert das Margenprofil. Gemeinsam mit KI-Tools können Mitarbeiter deutlich produktiver arbeiten – etwa indem automatisierte Abläufe es erlauben, mehr Mandanten in der gleichen Zeit zu betreuen. Kanzleien, die hier führend sind, erzielen einen höheren Umsatz pro Kopf und damit attraktive Gewinne. Entsprechend beobachten rund 80 % der Beratungsunternehmen intensiv die Möglichkeiten von KI, und Experten schlagen Alarm bei den wenigen, die das noch nicht tun.
Transformationsbereitschaft des Managements: Für Finanzinvestoren ist entscheidend, dass das Partner- und Führungsteam offen für Veränderung ist. Die Bereitschaft, bewährte Prozesse zu hinterfragen, neue Technologien einzuführen und organisatorische Anpassungen mitzutragen, ist ein Muss. Private-Equity-Eigner bringen häufig eigene Best Practices ein – von zentralem Controlling bis zu modernem Marketing – und erwarten, dass das Management diese unterstützt. Kanzleien, die schon vor einer Transaktion auf Effizienzsteigerung, digitale Innovation und strategische Neuausrichtung setzen, gelten als besonders attraktive Partner.
Umsatz pro Mitarbeiter: Dieser KPI gibt Auskunft über die Produktivität und den Wertschöpfungsgrad der Kanzlei. Ein hoher Umsatz pro Kopf deutet auf effiziente Abläufe, hohen Beratungsanteil (statt rein standardisierter Tätigkeiten) und gute Nutzung von Technologie hin. Investoren nutzen diesen Wert, um Firmen vergleichbar zu machen und Synergiepotenziale abzuschätzen. Beispielsweise können Plattform-Strategien den Umsatz pro Mitarbeiter oft steigern, indem Standardarbeiten zentralisiert oder automatisiert werden.
Altersstruktur der Belegschaft: Auch die Demografie spielt eine Rolle. Ein relativ junges Team signalisiert Entwicklungspotenzial, langfristige Verfügbarkeit und hohe Technikaffinität. Eine überalterte Partnerriege kann dagegen ein Klumpenrisiko bedeuten – wenn mehrere Partner kurz nach einer Übernahme ausscheiden, geht wichtiges Know-how verloren. Andererseits sind Kanzleien mit sehr hohem Durchschnittsalter oft verkaufsbereit, weil die Inhaber ihren Ruhestand planen. Der durchschnittliche Steuerberater in Deutschland ist über 53 Jahre alt – viele Kanzleien stehen also ohnehin vor einem Generationenwechsel. Investoren bevorzugen Targets, bei denen sowohl erfahrene Partner als auch eine motivierte zweite Führungsebene an Bord sind, um den Übergang reibungslos zu gestalten.
Fazit: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für M&A
Die Entwicklungen zeigen klar: Es gab für Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungskanzleien in Deutschland kaum je einen attraktiveren Zeitpunkt, um über M&A-Optionen nachzudenken. Die Konsolidierung erfolgt mit hoher Dynamik – angetrieben von günstigem Kapitalangebot, technischen Umbrüchen und dem Bedarf an Größe. Internationale Investoren suchen aktiv nach starken mittelständischen Kanzleien als Übernahmekandidaten. Gleichzeitig ermöglichen solche Partnerschaften den lokalen Einheiten, vom Kapitalzufluss, State-of-the-Art-Technologien und einem größeren Netzwerk zu profitieren. Wer frühzeitig die Weichen stellt und sein Haus in Ordnung bringt (Stichwort Digitalisierung, Organisation, KPI-Optimierung), kann in dieser Marktlage hervorragende Konditionen erzielen.
Zusammengefasst: Selten standen die Chancen so gut wie heute, einen erfolgreichen Schritt über eine Fusion oder den Verkauf der eigenen Kanzlei zu gehen. Sollte die eigene Strategie perspektivisch eine solche Option vorsehen, ist jetzt der Moment gekommen, sie ernsthaft zu prüfen. Denn die Konsolidierungswelle rollt – und sie dürfte das Gesicht der Branche nachhaltig verändern.
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